Die Ruhe davor
Es ist ein Freitag und der November neigt sich bereits dem Ende zu. Heute wird im Revier die zweite Treibjagd des Jahres veranstaltet. Die erste Jagd liegt schon drei Wochen hinter uns. Ich bin bereits weit vor dem Wecker wach und beschliesse nach dem morgendlichen Kaffee direkt ins Revier zu fahren. Schon zwei Stunden vor dem vereinbarten Zeitpunkt stelle ich das Auto bei der Jagdhütte ab und packe den Rucksack mit der Kamera auf den Rücken. Noch ist genügend Zeit, um vor der Dämmerung einen kleinen Rundgang durch das Revier zu machen und auf einem Hochsitz den Sonnenaufgang zu erleben. Der Himmel ist heute so klar, dass die Sonne schon längst vor dem Aufgang die Landschaft erhellt. Ich gehe nicht weit und setze mich auf eine Kanzel, die nur etwa 500 Meter von der Jagdhütte entfernt steht.
Schon während dem Hochsteigen sehe ich von der Leiter aus Rehe auf dem Feld stehen. Sobald ich mit hingesetzt habe, packe ich die Kamera aus. Aber die Rehe sind zu weit weg und das Licht ist noch zu schwach. Durch das Objektiv kann ich nur die Konturen sehen. Was mir aber jetzt schon auffällt, ist ein Tier, das sich merkwürdig bewegt. Einige Minuten später kann ich durch das Fernglas erkennen, dass eines der Kitze eine Verletzung am linken Vorderlauf hat und diesen scheinbar nicht biegen kann. Ein Bild, das einen traurig stimmt. Hoffentlich wird dieses Reh heute Teil der Strecke sein. Um 07.45 Uhr muss ich weiter. Die Sonne geht in diesem Moment auf und beleuchtet Wald und Felder mit wundervollen Gelb- und Orangetönen.
HDR – High Dynamic Range
Kaum bin ich wieder am Fuss der Leiter angekommen, wechsle ich das Objektiv vom Tele zum Weitwinkel mit 28 mm. Das Stativ wird vom Rucksack genommen, denn bei diesem Licht wird ein freihändiges Foto höchstens zum Schnappschuss. Ich entscheide mich zudem für ein HDR-Bild. Denn ohne diesen hohen Dynamikumfang wäre es unmöglich die Stimmung einzufangen. Entweder wäre der Himmel überbelichtet, also weiss oder Felder und Wald wären schwarz und unterbelichtet. Ich will aber beides in einem Bild zusammengefügt. Das kann die Kamera glücklicherweise selber. Es klickt fünf Mal und das Bild ist im Kasten.
Der High Dynamik Range ist übrigens kein blosser Trick der Kamera, um etwas darzustellen, was eigentlich nicht echt ist. Das menschliche Auge macht das permanent, nur bekommen wir dies nicht aktiv mit. Schauen wir auf den tollen Morgenhimmel, wirken die Farben wundervoll. Wechselt dann der Blick aufs Feld, ist auch für unser Auge der Himmel überbelichtet, aber das Gehirn hat den Eindruck gespeichert und fügt uns so ein Gesamtbild zusammen. Es ist dasselbe Prinzip.
Ein traumhafter Jagdtag
Das Wetter bleibt den ganzen Tag über so schön. Die Sonne beschert uns drei angenehme Treiben und versüsst die Wartezeiten dazwischen. Dazu kommen natürlich auch das gemütliche Feuer bei der Hütte und die nette Geselligkeit bis in die späten Abendstunden. Bei Sonnenuntergang wird die Strecke verblasen. Der Klang der Hörner schallt über die Felder, die in der Morgendämmerung noch so still und mystisch dalagen. Es ist gelebte Tradition, die Hörner verbinden uns zu einer Gemeinschaft. Es isch schön dabei sein zu dürfen. Die Strecke ist gut. Mein Kitz ist leider heute nicht dabei. Dennoch, es war ein ausgesprochen schöner Jagdtag, der noch lange in Erinnerung bleiben wird.