Anfang bis Mitte Juni ist eine aufwändige Zeit in den Revieren. Das Gras auf den Wiesen steht hoch, die Landwirte mähen fleissig. Doch noch immer ist Setzzeit und in vielen Wiesen liegen Rehkitze versteckt. Die Kitzrettung steht zu dieser Jahreszeit im Zentrum.
Die Setzzeit (Gebärzeit) des Rehwildes ist hauptsächlich während den Monaten Mai und Juni. In früheren Zeiten lebten Rehe auf offenen Gebieten und wurden erst mit der Ausbreitung der Landwirtschaft durch den Menschen in die Wälder zurückgedrängt. Nicht verwunderlich ist dabei, dass die Rehgeissen ihren Nachwuchs noch immer auf Wiesen zur Welt bringen. Während der ersten zwei bis drei Wochen können die Kitze der Mutter noch nicht folgen. Sie bleiben im Gras oder im Feld zurück und werden von der Geiss nur zum Säugen aufgesucht. Kitze sind fast vollkommen geruchlos und haben einen Drückinstinkt, der sie bei Gefahr regungslos an einer Stelle verharren lässt. Dadurch sind sie vor Fressfeinden recht gut geschützt. Umso anfälliger sind sie für den Tod durch die Mähmaschine.
Damit nun möglichst keine Rehkitze dem Mähwerk zum Opfer fallen, «verblenden» wir alle Wiesen am Vorabend der Mahd. Verblenden bedeutet, die Rehgeiss durch den Einsatz diverser Mittel dazu zu bringen, ihren Nachwuchs aus der betroffenen Wiese in Sicherheit zu bringen. Dies kann man auf verschiedenste Arten machen: durch Lärmquellen, Gerüche, Blinklichter oder Fahnen etc. Die Meinungen darüber, was am effizientesten ist, gehen wie immer auseinander. Wir verwenden Fahnen mit Tüchern, die im Wind zudem Geräusche machen.
Die Zukunft der Kitzrettung liegt aber klar beim Einsatz technischer Mittel, wie Drohnen mit Wärmebildkameras. Die Kosten dafür sind aber hoch, so auch der Aufwand diese zu betreiben und eine Beschreibung des Einsatzes würde oder wird einen zusätzlichen Blog füllen.
Nun zur Sache: Der Ansitz
Es ist Freitagabend, der 15. Juni. Viele Wiesen im Revier werden nun gemäht, denn es erwarten den Bauern zusätzliche Gelder, wenn eine Wiese bis zum 15. stehen bleibt – ein Umweltschutzbeitrag. Ich fahre mit dem Auto zu einer Wiese, die wir von der Jagdgesellschaft aus noch nicht verblendet haben und von der ich erwarte, dass sie erst später gemäht wird. Aber bei meiner Ankunft sehe ich Pfähle mit weissen Säcken dran über die Fläche verteilt. Der Landwirt hat wohl selber verblendet.
Soll ich nun zu einem anderen Hochsitz fahren? Nein, ich bleibe. Es ist die beste Gelegenheit zu sehen, was die Aktion zur Kitzrettung bringt. Zwar sehen die Fahnen des Bauern anders aus als unsere und sie bewegen sich kaum im Wind, aber die Neugierde lässt mich hier ansitzen. Am liebsten würde ich eine Rehgeiss sehen, wie sie ihr Kitz aus Furcht vor den merkwürdigen Gegenständen in den Schutz des Waldes mitnimmt.
Die Stunden vergehen und ich bekomme nichts in Anblick. Das Vergrämen scheint zu wirken. Doch da, direkt unter der Kanzel springt ein Feldhase auf die hohe Wiese und äst genüsslich und in aller Ruhe. Er ist unbeeindruckt. Eine halbe Stunde später höre ich lautes Rascheln links von mir. Ein Reh. Ist es nun die erhoffe Ricke, die zur Kitzrettung eilt? Nein, er ist ein Bock. Auch er bewegt sich hastlos über die Wiese und hebt das Haupt nur selten.
Kein Kitz vermäht
Ich beginne mich zu fragen, ob sich der Aufwand überhaupt lohnt, denn die beiden Wildtiere, die ich heute sehe, scheinen kaum beeindruckt von den weissen Störern. Die Frage bleibt unbeantwortet. Es wurden uns in diesem Jahr von den Bauern aber keine vermähten Kitze gemeldet. Ob einer eines verschwiegen hat? Ich hoffe nicht.