Ein ganz normaler Ansitz

Warum schreibe ich über einen ganz normalen Ansitz? Weil normal einfach schön sein kann und ich schöne Erlebnisse gerne teile. Zudem ist es nicht selbstverständlich, während eines normalen Ansitzes so viel zu erleben, wie ich dies kann.

Es ist Samstagabend, der 21. April. Es ist unglaublich heiss für April. Das Thermometer im Auto zeigt eine Aussentemperatur von 26 Grad an. Im Innern ist es noch wärmer, dem Auto fehlt eine Klimaanlage. Aber es wird ja schon bald kühler werden. Ich stelle den VW Bus bei einem kleinen Bienenhäuschen ab, das sich in einem winzigen Wäldchen befindet, welches das Auto ausserhalb der Sichtlinie vom Hochsitz verbirgt. Ob das Wild darauf reagiert, wenn es mein Auto sehen kann, weiss ich nicht. Ich mache das für mich. Ohne Sicht zum Auto fühle ich mich mehr in der Natur.

Schon der Weg ist spannend

Noch trennen mich 300 Meter von der Kanzel. Der Weg führt dem Waldrand entlang und grenzt an ein Getreidefeld. Ein kleines Schild mit der Aufschrift «Urdinkel» verrät mir, was aus den noch kurzen Halmen werden soll. Im Innern des Waldes raschelt es verdächtig. Ich ziehe die Kamera aus dem Rucksack und ärgere mich etwas darüber, dass ich dies nicht schon im Auto gemacht hab. Manchmal ist man einfach zu faul. Es ist nur eine Amsel, ein schwarzes Männchen, das das Laub auf dem Waldboden mit einer Hingabe umgräbt. Man könnte meinen, ein Reh spaziere zwischen den Bäumen hindurch.

Buchfinken streiten sich lautstark und verfolgen sich gegenseitig zwischen Wald und Feld. Dabei überschlagen sie sich teilweise, setzen sich dann für einige Sekunden auf einen Ast und weiter geht die Hetze. Noch bin ich 50 Meter von der Kanzel entfernt, da hämmert ein Specht auf einen Baum ein. Er muss ganz nahe sein. Ich kann ihn vom Geräusch her ziemlich genau ausmachen, sehe ihn aber nicht. Das wäre ein schönes erstes Foto für den Abend. Nach einiger Zeit und mithilfe des Fernglases erkenne ich den Buntspecht an einem morschen Baum. Leider erlaubt mir das Gegenlicht kein gutes Bild. Während ich mich umpositioniere, fliegt er weg.

Wind, Äste und einfach zu weit weg

Langsam klettere ich die Leiter zur Kanzel hoch und lege meine Sachen bereit. Der Rucksack zu meinen Füssen, die Kamera links von mir auf dem Sitzbrett und den Feldstecher lege ich auf die Brüstung. Das mit dem Wind bzw. der Windrichtung sollte man ja schon vor dem Ansitz bei der Auswahl der Kanzel planen. Auf Bodenhöhe dachte ich noch, es sei windstill, aber hier, in 3 Metern Höhe, bläst mir ein sanfter Lufthauch ins Gesicht und direkt hinter mir in den Wald hinein und dorthin, von wo ich die Rehe erwarte. Doof. Die Kanzel ist nur zu drei Seiten geöffnet und hat auch keine Scheiben. Ich den Wald hineinsehen kann ich also nicht. Das würde aber auch nicht allzu viel nützen, denn der Wald fällt steil ab. Die Kanzel steht oben am Rande eines Hanges.

Links von mir habe ich vor ungefähr drei Wochen einen kleinen Sprung mit vier Rehen gesehen. Zwei Böcke und zwei Geissen. Die kamen den Hang hoch und ästen am Waldrand bei einer Kuhle, in deren Mitte eine grosse Eiche steht. Es ist Frühling und die Äste der Bäume spriessen, bekommen Blätter und – verdecken mir heute die Sicht zu jener Kuhle. Nochmals doof. Ich könnte wohl Rehe dort sehen, aber für Fotos ist die Sicht zu eingeschränkt. Soll ich den Hochsitz wechseln? Noch wäre Zeit genug. Nein, ich bleibe.

Vögel tanzen in den Bäumen rund um die Kanzel. Leider präsentiert sich keiner für ein Foto. Nach ungefähr einer Stunde, es ist nun 19:30 Uhr, sehe ich weit entfernt etwas über eine Wiese rennen. Ich tippe erst auf einen Hund, vielleicht ein Schäferhund – von der Farbe her. Durch das Fernglas erkenne ich, dass es ein Bock ist. Ich nehme das Spektiv hervor, um ihn mir genauer anzusehen. Es ist ein starker 6er. Ein kapitaler Bock, der schon fertig verfegt hat. Wäre ich jetzt doch dort drüben. Ich messe die Distanz. Es sind 600 Meter. Das ist natürlich viel zu weit weg für ein Foto.

Mehr, als ich gedacht hab

Während ich noch durchs Fernrohr schaue, raschelt es hinter mir. Etwas kommt schnell auf mich zu und es ist diesmal keine Amsel. Es ist so laut, dass ich davon ausgehe, dass das Tier direkt unter der Kanzel aus dem Wald treten wird. Ich nehme die Kamera in die Hand und erwarte gleich ein Reh vor mir zu sehen. Was für ein Glück, denke ich mir, denn links von mir wäre ein Foto ja unmöglich.

Es kommt aber kein Reh, sondern ein Feldhase, der mit einigen grossen Sprüngen vom Wald auf die Wiese wechselt. Er lässt sich in ca. 10 Metern Abstand vor mir nieder und nascht vom frischen, dunkelgrünen Gras. Das Klicken der Kamera scheint ihn nicht zu stören. Ich freue mich sehr über den Anblick, denn ich dachte schon, der Hasenbestand sei gering. Aber ich habe bereits gestern an einer anderen Stelle im Revier einen Feldhasen gesehen. Es hat also doch mehr, als ich dachte. Nach einigen Minuten hoppelt er nach rechts weg, in Richtung der untergehenden Sonne. Doch halt, dort hinten steht noch etwas auf dem Feld. Es ist eine einzelne Ricke, wie ich durchs Fernglas erkennen kann. Auf dem Spazierweg kommt eine Frau mit ihrem Hund näher. Die Rehgeiss springt ab.

Ich bleibe noch bis zur Dämmerung sitzen. Aber es zeigt sich nichts mehr. Langsam baume ich ab und gehe zurück zum Auto. Ein schöner Abend.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.