Endlich ist er wieder da, der erste richtige Morgennebel. Dieser weisse, alles verhüllende Dunst, der vom Rhein her über die Landflächen herauf zieht und die Welt zu beruhigen scheint. Und das ist auch dringend notwendig. Was war das für ein Sommer? Hitze pur. Und noch hält er sich verzweifelt klammernd fest. Wohl sind es die letzten heissen Tage des Jahres, aber noch immer klettert das Thermometer jeden Tag auf über 25 Grad. Das Wochenende soll die Wende bringen. Doch eben ist er gekommen, der erste Nebel, der Vorbote des Herbstes. Ich freue mich.
Die Hitze jagt die Trockenheit
Eigentlich wollte ich schon länger über die Hitze des Sommers schreiben, über die Dürre, die versiegten Quellen der Bäche und die ausgetrockneten Teiche. Doch nicht nur dem Wild war es zu heiss, so dass es sich nur spärlich zeigte – in der Hitze fehlte auch mir die Lust zum Schreiben. Aber das Schöne am Hobby ist ja, dass man nicht muss, wenn man nicht will.
Ich erinnere mich, wie ich mich an einem dieser heissen Sommerabende, es war vor ungefähr eineinhalb Monaten, auf eine lauschige Leiter setzte. Die Leiter ist breit und aus massivem Holz, so dass bequem zwei Personen darauf Platz finden würden. Sie steht an einer Hecke, die einen Teich umgibt, und zeigt in Richtung Wald, der hinter einem Feld in etwas mehr als 150 Metern Luftlinie beginnt. Man hat also den Teich im Rücken und Sicht über Feld und Wald. Optimal. Nun, hier, wo noch vor einiger Zeit Frösche quakten und eine Vielzahl kleiner Vögel im Schilf ihre Lieder zwitscherten, herrscht nun Stille. Nur an einem Ende des Teiches steht noch etwas Wasser. Eigentlich ist es mehr Schlamm als Wasser, aber ich will sehen, ob es vom Wild noch angenommen wird.
Erst bin ich nur vom Lärm des nahen Modellflugplatzes genervt und das Einzige, was ich zu sehen bekomme, sind Spaziergänger. Dafür viele. Doch zu fortgeschrittener Stunde, aber noch kurz vor der Dämmerung, tritt der erste Bock aus dem Wald hinaus aufs Feld. Damals waren die Abende noch länger. Und der Bock steuert direkt auf meine Leiter zu. Er verschwindet links von mir im Gebüsch und taucht einige Minuten später direkt rechts neben mir wieder auf. Er wechselt auf demselben Weg, wie er gekommen ist, zurück in den Wald. Genau das Gleiche passiert 30 Minuten später nochmals – mit einem anderen Bock. Erst Gabler, dann Sechser.
Das Schauspiel zeigt, wie dringend die Tiere dieses letzte verbleibende Wasser benötigen.
Flecken in der Buntbrache
Wieder zurück im Hier und Jetzt. Eigentlich gefällt es mir ganz gut, dass die Dämmerung nun wieder früher beginnt. Denn die beste Zeit für die Wildbeobachtung bleibt der kurze Streifen zwischen Tag und einsetzender Nacht. Und so verkürzt sich das Warten. Aber bald schon werden die Tage wieder zu kurz sein, so dass schon am Nachmittag die Dunkelheit hinter der Bürotür lauert, wenn diese sich endlich zum Feierabend hin öffnet.
Ich sitze auf einer meiner liebsten Kanzeln – Wald im Rücken und eine Aussicht, wie sie besser nicht sein könnte. An Föhntagen sieht man von hier bis hin zu den Alpen. Schon beim Weg zum Hochsitz dachte ich, dass in der Buntbrache wohl bereits die Rehe liegen und regungslos auf mein Vorbeiziehen warten. So war es dann auch. Im linken Augenwinkel entdecke ich einen rötlich-braunen Fleck, der sich zu bewegen scheint. Es ist eine Geiss, die noch zögernd zu äsen beginnt.
Plötzlich tauchen hinter der Geiss zwei weitere Flecken auf. Und auf den Flecken sehe ich Flecken – auch jetzt noch, spät im September, sind die beiden Kitze mit hellen Punkten betupft. Das eine, stärkere Kitz, ein Bockkitz, spaziert gemächlich auf mich zu. Nur 30 Meter vor mir beschnuppert es interessiert eine Distel. Es gelingt ein Bild im letzten Licht.
Und nochmals zum Nebel
Noch freue ich mich ja über den Nebel. Aber bald schon wieder wird er hier ständiger Begleiter sein und wie ein lästiges Tuch beinahe jeden Tag vermummen. Er drängt sich dann täglich zwischen die Welt und die Sonne. Wenn es soweit ist, lese ich diesen Bericht selbst erneut und erinnere mich an den langen, heissen Sommer.