Das zwölfte Bild – Schwanzmeise

Ein ruhiger Ansitz

Es ist der 1. Oktober, ein Sonntag. Ich sitze auf einem abgelegenen Hochsitz in Schaffhausen. Es ist unglaublich still, obwohl es erst Nachmittag ist. Ausser dem Krächzen der Kolkraben, dem Rascheln der Blätter im Wind und vereinzelten Stimmen von Wanderern in der Ferne, ist nichts zu hören. Am Sonntag wird nicht gejagt, aber fotografieren kann man natürlich schon. Ich erwarte Rehe vor die Linse zu bekommen, denn die sieht man von dieser Kanzel aus meistens. Die Kamera ist eingeschaltet und liegt auf dem Ablagebrett vor mir. Da es langsam kälter wird im Jahr, halte ich den Fotoapparat nicht mehr in der Hand. Die Hände sind warm in den Brusttaschen der Jacke verstaut. Es regt sich nichts, ich warte.

Das eigentliche Ziel und was dabei rauskommt

Bei Rehen auf der Wiese eilt es meistens nicht so sehr. Daher kümmert es mich auch nicht sonderlich, dass es einige Sekunden dauern wird, bis ich die Kamera vor dem Auge haben würde, weil ich ja die Hände in den Taschen wärme. Warm ist besser als schnell – sage ich mir. Aber was, wenn wieder der Fuchs vorbeihuscht? Ich wäge noch ab. Und da: es raschelt links von mir. Ein Reh wechselt ein. Schnell die Hände raus, vorsichtig die Kamera lautlos von der Ablage nehmen und den Auslöser antippen, um die aktuelle Belichtungszeit zu sehen. Es würde passen. Aber ich bekomme von der Geiss nur Fragmente zu sehen. Wieder warten, aber diesmal angespannt, denn es ist noch früh und das Licht wäre optimal. Es könnte ein gutes Bild geben. Die Geiss kommt nicht näher.

Und plötzlich ein weiteres Rascheln und Surren direkt neben mir. Ich drehe den Kopf und sehe einige Schwanzmeisen, auf gleicher Augenhöhe, nur einen oder zwei Meter neben mir auf Ästen turnen. Ich ändere im Kopf mein Motiv, mache einige Handgriffe am Objektiv und stelle von 400 auf 100 mm zurück, die minimale Nahdistanz von 6.5 auf 1.8 m, suche mir die nächste Schwanzmeise als Ziel und drücke zwei Mal ab. Mehr geht nicht, denn sie haben mich entdeckt und sind schon wieder aufgeflogen.

Es gab also nur diese zwei Bilder. Das eine seht ihr oben, das andere hier unten. Übrigens: die Geiss blieb noch über eine Stunde links von mir, von Büschen verborgen, auf der Wiese. Von ihr gab’s an diesem Tag kein Bild.

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