Es erschallt in ordentlicher Lautstärke das Signal «Begrüssung», welches ich als Klingelton auf meinem Handy hinterlegt habe. Das ist bestimmt der Pizzabote. Nein, ich sitze nicht auf dem Hochsitz und bestelle mir aus Langeweile Pizza. Es ist Sonntagabend, wir sind zu Hause und uns war einfach nach Pizza. Und wie jedes Mal, findet der Bote unser Haus nicht und ruft an. Warum ist das nur relevant für einen Blog, bei welchem es um die Jagd geht? Nun, während des Essens – die Pizza war übrigens köstlich – schüttet es wie aus Kübeln vom Himmel. Der Regen ist so stark, dass er vor dem Fenster einen Vorhang bildet. Fällt mein geplanter Ansitz ins Wasser?
Der Weg ist zwar nicht das Ziel …
Nach einer halben Stunde lässt der Regen nach und es scheint sogar wieder recht freundlich zu sein. Nach langer Trockenheit kann die Natur diesen Tropfen gut gebrauchen. Hin und wieder reicht ein Sonnenstrahl bis auf unser Grundstück herunter. Dann kann’s ja losgehen. Schnell ist der Rucksack gepackt und im Auto geht’s los ins Revier. Die Fernsicht ist unglaublich. Der Blick reicht ungetrübt über eine Reihe von Hügelketten, als hätte der Regen die Luft reingewaschen. Perfekt zum Fotografieren.
Als ich von der Landstrasse auf den ersten Feldweg im Revier abbiege, steht hinter einem Maisfeld bereits eine Geiss mit Kitz. Sie scheinen unschlüssig, ob das Auto nun eine Gefahr ist oder nicht. Ich fahre ganz langsam. Als ich auf 20 Meter an die beiden heran gekommen bin, springen sie doch ab. Schnell in den schützenden Wald. Gleich geht es einer einzelnen Ricke, die ich nur hundert Meter weiter am Rand einer Buntbrache sehe. Schon drei Rehe auf dem Weg zum Parkplatz – das lässt hoffen.
Der Wind und die Meteorologie
Leicht gebückt und vorsichtig Schritt vor Schritt setzend, pirsche ich zur Kanzel. Sie steht mit der Rückwand zum Waldrand und eröffnet den Blick zur Linken auf ein abgeerntetes Weizenfeld und zur Rechten auf eine kleine Wiese, die in einer Nische in den Wald eingebettet scheint. Oben angekommen ärgere ich mich zum zweiten Mal an diesem Tag über die Meteorologie. Anfänglich hiess es, es bleibe heute trocken, höchstens wenig Niederschlag. Nun, der Blick aus dem Fenster beim Pizzaessen verriet ja das Gegenteil. Und jetzt sitze ich auf einem Hochsitz, der Wind sollte aus Ost bis Nordost kommen, bläst mir aber auf die linke Wange und kommt somit aus Nordwest. Das trägt meinen Duft direkt auf die kleine Wiese zu meiner Rechten, auf welcher ich am ehesten Anblick erwarte.
Etwas frustriert packe ich ein Buch aus und beginne zu lesen, im Moment erwarte ich kein austretendes Rehwild. Nach den ersten zwei Seiten glaube ich mit dem rechten Auge etwas wahrgenommen zu haben. Es wird wohl nichts sein. Doch da, halb verdeckt von den herunterhängenden Ästen einer Buche steht ein Kitz. Leider tritt es nie ganz auf die freie Fläche und somit ist nur ein Foto durch die Äste möglich (siehe unten). Nach wenigen Minuten verschwindet es kaum merklich wieder im Dickicht.
Vorhang auf, Bühne frei
Der Anfang ist gemacht und scheinbar ist heute der Wind doch nicht ein so grosses Problem, wie ich dachte. Zehn Minuten später tritt die Geiss aus dem Wald aus. Dicht gefolgt von jenem Kitz, das ich zuvor schon gesehen habe. Die Ricke scheint verspielter als das Kitz und hüpft und springt auf der noch nassen Wiese umher, als gäbe es kein schöneres Spiel. Überall werden frische Kräuter genascht, bis die beiden im gegenüberliegenden Wald verschwinden. Kurz darauf erscheint links von mir eine zweite Geiss mit Kitz. Sie scheinen beunruhigt, die Geiss sichert immer gegen hinten. Plötzlich jagen sie in Windeseile über das Feld und verschwinden in einem grossen Bogen erneut im Wald.
Es grunzt neben mir. Kommt jetzt noch eine Sau? Es knackt und raschelt laut. Gleich tritt es aus. Das Grunzen ist eher ein Röcheln und kommt von einem treibenden Bock, der hinter einer Geiss her rast. Obwohl er vor Erschöpfung den Äser weit offen hält und besagtes Röcheln von sich gibt, liefern sich die beiden ein unbeschreibliches Rennen. Sogar unter der Kanzel durch führt die Jagd. Am Ende macht doch die Geiss das Rennen und verschwindet im Wald. Der Bock steht direkt rechts unter mir neben dem Hochsitz. Es sind keine zehn Meter. In seinem Rausch schaut er mich an und scheint die Situation nicht zu verstehen. Die Kamera klickt ein paar Mal. Dann, mit einem lauten Schrecken springt er ab. Das Bild seht ihr unten.
Das ist es bestimmt für heute gewesen, denke ich. Doch schon höre ich die Fortsetzung der Verfolgungsjagd auf dem Feld hinter mir, das ich aber nicht einsehen kann. Und dann, zum Abschluss schnürt ein Fuchs mit fetter Beute im Fang gemächlich übers Feld. Er bleibt kurz stehen, schaut mich an und setzt dann etwas eiliger seinen Weg fort. Ich baume ab.